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In den späten 1700er Jahren begann die industrielle Revolution und sorgte dafür, dass die kommenden über 150 Jahre zu einer der wichtigsten, weltbewegendsten Epochen der Menschheitsgeschichte wurden – auch in unserer Region. Etwa, als hier 1835 zwischen Nürnberg und Fürth die weltweit vierte und Deutschlands erste Eisenbahnverbindung eröffnet wurde.
Vieles, was in diesen anderthalb Jahrhunderten erfunden wurde oder anderweitig aufkam, war lediglich eine Ausgangsbasis für zahllose Neu- und Weiterentwicklungen – oder entpuppte sich gar als Irrweg. Andere Dinge hingegen waren ein solcher Geniestreich, dass sie bis heute, teilweise ohne nennenswerte Änderungen, fest zu unserem Alltag gehören.
Grundsätzlich ist es völlig richtig, wenn man den Zeitraum zwischen zirka 1750 und 1920 als Zeitalter der Industrialisierung oder eben als industrielle Revolution zusammenfasst. Für viele Historiker ist eine solche Zusammenfassung jedoch etwas zu verallgemeinernd. Sie unterteilen diese Ära deshalb:
Allerdings ist diese Trennung in der wissenschaftlichen Gemeinschaft nicht unumstritten. Hauptsächlich deshalb, weil die Trennlinien zwischen beiden Phasen streckenweise reichlich verwaschen sind. Zudem gibt es noch distinktive Unterschiede bei den Zeiträumen, je nachdem, ob man das Thema aus europäischer oder nordamerikanischer Sicht betrachtet.
Weitgehend einig ist man sich nur, dass diese erste Phase der Industrialisierung bis etwa 1920 andauerte. Manche verorten allerdings das Ende zu Beginn des Ersten Weltkriegs (1914-1918). Primär, weil damit ein massiver Übergang zu einer „militärischen Industrialisierung“ einherging, die sich in vielerlei Hinsicht enorm von der vorherigen Epoche unterschied.
Stellt sich die Frage: Wie konnte es überhaupt zu dieser riesigen Revolution kommen, die bei der Gesamtbetrachtung der Menschheitsgeschichte ähnlich dramatische Auswirkungen hatte wie die Sesshaftwerdung oder das Entstehen der ersten großen imperialen Hochkulturen, beispielsweise Rom?
Wie so oft, so war es auch hierbei jene berühmte Kombination von vorteilhaften Bedingungen. Das gilt insbesondere im Mutterland der Industrialisierung, Großbritannien, zeigte sich aber ebenso in den anderen Ländern, die schnell aufholten:
All diese Punkte ballten sich sozusagen und lieferten dadurch die Initialzündung für zahlreiche Entwicklungen:
Dazwischen und danach gab es immer wieder weitere Erfindungen und Errungenschaften, die einen verstärkenden Effekt hatten. Immer mehr Spezialisierung, dadurch das Aufkommen neuer Gewerbe. Riesige Fortschritte in Arbeitsteilung und Rationalisierung, wodurch das Fabrikwesen regelrecht explodierte. Zudem wurden negative Auswirkungen geschickt genutzt: Indem die Industrialisierung viele Berufe überflüssig machte bzw. aus dem Geschäft drängte, sorgte sie automatisch für einen riesigen Strom der nötigen Arbeitskräfte für die Fabriken.
Das war mit ein Grund dafür, dass die Industrialisierung auch den „Anfang vom Ende“ der bisherigen Herrschaftszustände bedeutete und ein Zeitalter der Demokratisierung und gesellschaftlicher Reformen einläutete.
Insofern darf nicht nur die bis heute bestehende SPD, sondern ebenso die Existenz zahlloser Arbeitnehmerrechte und sogar die Sozialversicherung als eine Reihe von Errungenschaften von damals gelten, die bis heute vorhanden sind. Dazu zählen aber noch viel mehr Dinge.
Es gibt wohl kein schöneres Beispiel, um die Langlebigkeit mancher industrieller Errungenschaften aufzuzeigen, als die QWERTZ-Tastatur. Denn mit der Industrialisierung entstand die Notwendigkeit einer umfassenden Buchhaltung. Sie führte zum Entstehen des Büros. Das war wiederum der Zündfunke für die Erfindung der Schreibmaschine.
1868 war es so weit – nicht nur für die perfektionierte Schreibmaschine, sondern ebenso deren Tastenbelegung. Wobei bis heute nicht klar ist, warum jener amerikanische Buchdrucker, der zu den Patent-Antragstellern der Schreibmaschine gehörte, ausgerechnet eine QWERTY-Anordnung wählte. Fakt ist nur, dass QWERTY im englischsprachigen und QWERTZ im deutschsprachigen Raum seitdem unangefochten sind. Bei Weitem nicht die einzigen Beispiele.
Zugegeben, seit James Watts Zeiten hat sich an der Dampfmaschine sehr vieles getan. Aber selbst die maßgeblichste Verbesserung entstammt der späteren Industrialisierung. Funktionierten Dampfmaschinen zunächst über Kolben, kamen ab den 1880ern die ersten Dampfturbinen auf. Beides ist uns bis heute erhalten geblieben, etwa in
Nicht überall mag Dampf das antreibende Medium sein. Immer jedoch gehen die dahinterstehenden Kolbenmaschinen und Turbinen direkt auf die Industrialisierung zurück.
Zwar gibt es heute viele unterschiedliche Möglichkeiten, um Speisen und Getränke in Metall zu verpacken. Die meisten davon wurden jedoch während der Industrialisierung ersonnen – ausgehend von der 1810 erfundenen Konservendose. Wohl unterschied die sich noch an vielen Punkten vom heutigen Pendant, aber es war unverkennbar bereits eine Konservendose. Wie andere Metallverpackungen, bietet sie beim Transport und anderen Belastungen besonders guten Schutz und sieht gleichzeitig hochwertig aus.
Ebenfalls aus diesen Zeiträumen stammen unter anderem der Dosenöffner (Ende der 1850er), der Kronkorken (1892) sowie der innen hauchdünn metallbeschichtete Getränkekarton (1915).
Den Anfang machten einmal mehr die Briten. Hier erfand 1841 Josep Whitworth ein nach ihm benanntes zölliges Gewinde, das mit festgelegten Eckdaten zum ersten landesweit normierten Gewinde der Welt wurde. Bis heute ist es als British Standard Whitworth (BSW) und British Standard Fine (BSF) weltweit in Benutzung.
Ausgehend von dieser bahnbrechenden Standardisierung entstanden in den Folgejahren schnell unterschiedlichste andere Gewinde und nicht zuletzt Antriebe, die ebenfalls festgelegten Standards folgten. Beides sorgte dadurch für eine Vereinheitlichung weit über die Grenzen eines einzelnen Fabrikgeländes hinaus – wichtig nicht zuletzt, um geteilte Produktionen zu ermöglichen.
Ebenfalls aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammen
Damit ging ebenfalls eine Vereinheitlichung der dafür nötigen Schraubendreher und -schlüssel einher.
Sie mögen zwar mittlerweile von vielen kritisch betrachtet werden und ein politisches Enddatum haben – jedenfalls in einigen Ländern. Dennoch sind
nach wie vor die mit Abstand bedeutendsten Antriebsformen für Fahrzeuge aller Art. Dazu noch Stromerzeuger und eine ganze Reihe weiterer Anwendungen inklusive der Seefahrt.
Interessant ist dabei, dass sich bei beiden Motorbauarten das ursprüngliche Arbeitsprinzip gar nicht geändert hat. Was sich hauptsächlich änderte, waren lediglich die verschiedenen vor- und nachgeschalteten Systeme. Allein die vielen Evolutionsstufen des Vergasers beim Ottomotor sowie der Kraftstoffeinspritzung bei Otto- und Dieselmotor.
Sieht man deshalb von diesen Systemen sowie verbesserten Materialien und Produktionsmethoden ab (und digitalen Bausteinen), dann hätte eine Fabrik im Jahr 1900 beispielsweise einen PKW-Ottomotor des Jahres 2025 durchaus nachbauen können. Das betrifft selbst erst später erfundene mechanische Bauteile. Sofern diese ohne Elektronik auskommen, hätte man sie wohl ebenfalls reproduzieren können.
Übrigens gilt dies nicht nur für Otto und Diesel, sondern ebenso für die damit verbundenen Prinzipien des Zwei- und Viertaktmotors. Der Viertaktmotor geht auf mehrere österreichische Patente aus dem Jahr 1860 zurück. Der einfachere Zweitaktmotor wurde 18 Jahre später patentiert – interessanterweise, um von Nicolaus Otto gehaltene Patente für fremdgezündete Motoren zu umgehen.
Allerdings sorgte die Industrialisierung, insbesondere im Verlauf des 19. Jahrhunderts, für das rasante Aufkommen zahlreicher neuer Herstellungsmethoden.
Dabei ging es sowohl um größere Ausstoßmengen als auch um eine insgesamt bessere Materialgüte. Das sorgte für einen doppelten Effekt:
Das absolute Paradebeispiel für Letzteres ist Aluminium bzw. maßgeblich daraus bestehende Legierungen. Dieser Metallwerkstoff ist geradezu das archetypische Material für die späten Phasen der industriellen Revolution.
Doch warum brauchte es diese Epoche, bis man Aluminium „erfand“? Ganz einfach: Die meisten anderen Metalle und Stoffe für deren Legierungen lassen sich verhältnismäßig einfach extrahieren. Genügend Hitze, mitunter eine chemisch simple Reduktion unerwünschter Elemente, mehr braucht es nicht.
Anders bei Aluminium. Um es zu einem Werkstoff zu machen, ist ein recht komplexer Prozess inklusive Elektrolyse aus dem Mineral Bauxit notwendig. Erst Ende der 1700er vermuteten damalige Forscher überhaupt die Möglichkeit der Herstellung eines solchen Materials. Da der Vorgang jedoch so kompliziert ist, dauerte es bis weit in die 1880er, bis man industrielle Verfahren dafür entwickelt hatte.
Dann aber wurde das leichte, stabile, nichtrostende Metall rasch zu einem regelrechten Trend-Werkstoff der späten Industrialisierung, zumal die Produktionsmengen noch gering waren. Entsprechend exotisch und kostspielig waren daraus hergestellte Produkte – nicht unähnlich zum Aufkommen der ersten Titanlegierungen in den 1950ern.
Unter anderem in der EU sind solche Lampen schon seit Jahren aufgrund ihres hohen Energieverbrauchs verboten und wurden von der LED abgelöst. Eine Weiterentwicklung findet faktisch nicht mehr statt, insbesondere die Leuchtdiode (LED) hat der Glühlampe den Rang abgelaufen und wird weiterentwickelt.
Dennoch: Die Glühlampe war die Erfindung, welche die spätere Industrialisierung maßgeblich durch Kunstlicht erhellte und eine enorme Rolle für die Etablierung anderer Arbeitsmethoden und genereller Lebensweisen spielte. Erst durch die breite Verfügbarkeit von elektrischem Kunstlicht war effektives Arbeiten und Leben rund um die Uhr möglich – alles andere zwischen Kerze, Öllampe und Gaslaterne war verglichen damit nicht so effektiv.
Die erwähnte Glühlampe ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass etwas aus der Industrialisierung über viele Jahrzehnte hocherfolgreich sein kann, aber dennoch früher oder später abgelöst wird.
Entweder, weil sich eine „evolutionäre“ Weiterentwicklung ergibt oder die originäre Erfindung doch nicht so gut war, wie zunächst gedacht – und folglich die erstbeste Verbesserung rasch die Ablöse antreten konnte. Auch dafür gibt es verschiedene gute Beispiele.
Das Telefon mag noch als Beispiel für eine Industrialisierungs-Erfindung durchgehen, die sich erfolgreich halten konnte – wobei die modernen Verbindungs- und Vermittlungstechniken gar nichts mehr mit der ursprünglichen Erfindung vieler Väter gemein haben.
Doch lange bevor Personen wie Bell oder Reis am „Fernsprecher“ arbeiteten, sorgte bereits eine viel simplere Technik dafür, dass letztlich sogar ganze Kontinente erstmalig weitgehend in Echtzeit kommunizieren konnten. Selbst wenn das nur mit Morsezeichen funktionierte.
Schon ab 1774 wurden die ersten Telegrafie-Techniken erarbeitet. Das endgültige System war 1833 fertig, nachdem die Grundlagen des Elektromagnetismus‘ hinreichend erforscht waren. Wohl kamen kurz darauf noch komplexere Geräte auf, die einzelne Buchstaben per Nadel anzeigen oder sogar auf Endlospapier drucken konnten. Doch obwohl das Grundprinzip als Fernschreiber noch bis in die 1980er überlebte, ist es doch heute nahezu völlig verschwunden.
Noch bis deutlich ins 20. Jahrhundert hinein waren deshalb Schiffe aus Metall grundsätzlich genietet – obwohl man unter anderem schon 1882 elektrische Schweißverfahren entwickelt hatte.
Diese Nieten ließen sich rasch fabrizieren, benötigten zudem keine sonderlich qualifizierten Arbeiter und Werkzeuge. Das waren allerdings ihre wichtigsten Vorteile, denen viele Nachteile gegenüberstanden:
Sobald man in den 1930ern und insbesondere 1940ern das großmaßstäbliche Schweißen besser beherrschbar gemacht hatte, verschwanden genietete Schiffe deshalb sehr rasch von der Bildfläche.
Um Stahl in industriellen Mengen herzustellen, brauchte es einiges an Entwicklungsarbeit. Erst ab zirka 1860 konnte er daher industriell gefertigt werden. Zuvor und sogar noch für einige Zeit danach war Gusseisen bei zahlreichen Bauwerken das „Go-to-Material“, ähnlich wie es später Beton wurde.
Nicht nur war es günstig und sehr stabil, sondern man konnte es auch zu komplexen und sehr filigranen Formen gießen. Für unterschiedlichste Bauwerke zwischen Eisenbahnbrücke und Fabrikhalle wurde es deshalb so bedeutend, dass sich in der Fachwelt der Begriff „Eisenarchitektur“ für die Baustile jener Epoche etablierte.
Doch obwohl es bis heute (im kleinsten Stil) Baumaterialien aus Gusseisen gibt, so war die große Phase der Nutzung schon im späten 19. Jahrhundert im Niedergang. Stahl ist im Vergleich einfach besser. Sobald man ihn ähnlich kostengünstig fertigen konnte, löste er daher Gusseisen schnell und nachhaltig ab.
Als schließlich der 1824 erfundene moderne Zement zur Massenware wurde, der Betonbau ermöglichte, war es endgültig vorbei. Heutige Gusseisen-Bauelemente, wo sie noch existieren, sind in der Hauptsache Zierelemente.